(Un)conscious Bias – wenn Stereotypen und Wahrnehmungsverzerrungen die Personalauswahl (negativ) beeinflussen
„Eine Brillenträgerin – die ist sicherlich intelligent“, „Sneaker zum Anzug – sehr sportlich, ob er das hier ernst nimmt?“
Wer hat sich wiedererkannt in seinen Denkmustern? Die genannten Verknüpfungen zwischen Wahrnehmung und Interpretation sind nur ein paar klassische Beispiele für Bias (deutsch: Wahrnehmungs- und Beurteilungsverzerrungen), die uns bei CT im Rahmen der Begleitung von Auswahlentscheidungen immer wieder über den Weg laufen.
Der Begriff Bias beschreibt kognitive Wahrnehmungsmuster, die Menschen aufgrund ihrer Erziehung, Erfahrungen und kulturellen Einflüsse entwickeln. Diese Biases beeinflussen oft ohne, dass wir es bemerken, unsere Wahrnehmungen und Entscheidungen (= (un)conscious bias). Im Kontext der Personalauswahl können solche Biases dazu führen, dass bestimmte Kandidatinnen und Kandidaten bewusst oder unbewusst bevorzugt oder benachteiligt werden, basierend auf Faktoren wie Geschlecht, ethnischer Herkunft, Alter oder anderen persönlichen Merkmalen. Das alles ist grundsätzlich nichts Neues: Aber warum ist es doch immer noch ein Thema und was kann man dagegen tun?
Shortcuts und Kategorien zur Bewältigung von Komplexität
In unserer komplexen und schnelllebigen Welt sind wir Menschen ununterbrochen Reizen und Informationen ausgesetzt. Unser Gehirn kann pro Sekunde unvorstellbare etwa 11 Millionen Informationen aufnehmen. Bewusst davon verarbeitet werden gerade einmal 40.1 Nicht zuletzt das erklärt, warum unser Gehirn mit gerade einmal 2% der Körpermasse für stolze 20% unseres Energieverbrauchs verantwortlich ist.
Um diese Flut an Informationen bewältigen zu können, bedient sich unser Gehirn mehrere Male pro Minute Shortcuts – und das von uns völlig unbemerkt.2 Sie entlasten unser Gehirn und helfen beim Energiesparen, gleichzeitig ist es für uns Menschen aufgrund der Informations- und Reizflut notwendig, sich immer wieder an vertrauten Mustern zu orientieren.3 Daher arbeitet die menschliche Informationsverarbeitung zu großen Teilen mit automatisierten Prozessen und anhand bekannter Muster, die sich aus Erfahrungen und Erlebnissen geprägt haben und von bestimmten peripheren Merkmalen getriggert werden.4 Dies war einst ein lebensnotwendiger Mechanismus (z. B. Rascheln im Busch – Flucht vor wilden Tieren) und ist in vielen Alltagssituationen heute weiterhin hilfreich (z. B. Zähneputzen im Autopilot) – in der Beobachtung und Beurteilung von Menschen kann dies jedoch zu unerwünschten Effekten führen, denn auch dort werden automatisierte Assoziationen gebildet, die im Zweifel wenig mit der Realität übereinstimmen.
Denn auch in Beobachtungs- und Beurteilungssituationen greifen wir auf Shortcuts zurück, die sich aus unseren individuellen Erfahrungen und Prägungen bilden und sich u. a. in Form von Stereotypen und Vorurteilen zeigen. Unsere daraus resultierenden Biases fallen somit vielschichtig und personenunterschiedlich aus.
Bias in der Personalauswahl und -entwicklung
Es gibt eine ganze Reihe an möglichen Wahrnehmungsverzerrungen. Beispiele von Biases in der Personalauswahl:
- Gender Bias: Trotz Fortschritten in der Gleichstellung der Geschlechter gibt es nach wie vor unbewusste Voreingenommenheiten. Ein klassisches Beispiel ist die Annahme, dass Männer in Führungspositionen besser geeignet sind als Frauen, was dazu führen kann, dass weibliche Kandidatinnen und Kandidaten für solche Rollen seltener in Betracht gezogen werden.
- Affinity Bias/ Wahrgenommene Ähnlichkeit: Diese Voreingenommenheit tritt auf, wenn Recruiter Kandidatinnen und Kandidaten bevorzugen, die ihnen ähnlich sind oder mit denen sie Gemeinsamkeiten haben. Dies könnte dazu führen, dass Personen, die sich in ihrem Hintergrund oder ihren Interessen von den Entscheidungsträgern unterscheiden, unbewusst benachteiligt werden. Ein einfaches Beispiel ist der gemeinsame Lieblingsfußballverein oder das Wiedererkennen des eigenen Werdegangs.
- Implizite Persönlichkeitstheorien: Dies ist ein typisches Beispiel für kognitive Schemata, die schnell und unbewusst greifen. Sie führen zu Schlussfolgerungen von einer oder wenigen Persönlichkeitseigenschaften auf andere. Ein Beispiel hierfür ist, wenn sich ein:e Kandidat:in in Anzug und mit Brille für eine Referentenstelle bewirbt und die Auswählenden ihn allein aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes als intelligent und grundsätzlich geeignet einstufen.
- Confirmation Bias: Hierbei suchen Entscheidende unbewusst nach Informationen, die ihre vorgefassten Meinungen bestätigen. Wenn ein:e Recruiter:in beispielsweise glaubt, dass ältere Mitarbeitende weniger anpassungsfähig sind, wird er möglicherweise unbewusst nach Anzeichen suchen, die diese Ansicht stützen.
- Halo-Effekt: Bei diesem Effekt überstrahlt ein herausragendes Merkmal andere beobachtbare, aber normal ausgeprägte Merkmale. Dies bewirkt, dass andere Merkmale tendenziell positiver oder negativer beurteilt werden. Ein Beispiel hierfür ist z. B. eine ausgeprägte Eloquenz, die inhaltliche Lücken überstrahlen kann.
Die Auswirkungen der Bias zeigen sich auf verschiedenen Ebenen:
Neben der offensichtlichen Benachteiligung von objektiv (besser) geeigneten Bewerber:innen sind aus Unternehmensperspektive vor allen die daraus resultierende minderwertige Personalauswahl zu nennen, da die besseren Bewerber:innen übersehen sehen werden, weil sie Stereotypen nicht bedienen und nicht ins Idealbild passen. Dies zieht noch eine Ebene weiter herausgezoomt auch unternehmerischen Schaden nach sich, die aus Minderleistungen resultieren. Aber auch auf Mitarbeitendenebene sind Effekte sichtbar. Haben Mitarbeitende das Gefühl, aufgrund persönlicher Merkmale bei der internen Personalauswahl benachteiligt zu werden, leidet die Arbeitszufriedenheit.
Was also tun?
Strategien zum Umgang mit Biases
Der Umgang mit Unconscious Bias in der Personalauswahl erfordert ein systematisches und bewusstes Vorgehen.
- Bewusstseinsbildung: Der erste Schritt zur Bekämpfung von Unconscious Bias ist das Bewusstsein darüber zu schärfen. Schulungen und Workshops können dabei helfen, Beobachter:innen für das Thema zu sensibilisieren und eigene Wahrnehmungsmuster zu erkennen. Bei uns bei CT ist dies Bestandteil jeder Beobachter:innenschulung.
- Trennung von Beobachtung und Bewertung: Häufig nehmen wir Dinge nicht einfach nur wahr, sondern interpretieren bereits bei der Informationsaufnahme, um sie dann positiv oder negativ zu bewerten. Eine bewusste Trennung von Beobachtung und Bewertung im Rahmen von Diagnostikverfahren stellt diese notwendige Trennung wieder her. Dazu werden Beobachtungen von allen Beteiligten in Beobachtungsbögen notiert und erst nach den Übungen bewertet.
- Beurteilung anhand klar definierter Kriterien: Durch Verwendung von klar definierten Kriterien zur Bewertung von Kandidatinnen und Kandidatenkönnen subjektive Einflüsse ebenfalls reduziert werden. Dazu werden bei uns bereits vorab in der Konzeption konkret beobachtbare Verhaltensweisen sowie klare Entscheidungsregeln festgelegt.
- Strukturierte Interviews: Interviewleitfäden helfen, um eine klare Linie in die Interviews zu bringen, aber gleichzeitig auch, um die Vergleichbarkeit über verschiedene Kandidaten und Kandidatinnen zu gewährleisten. Bei CT werden alle Interviews strukturiert geführt, ebenso trainieren wir Unternehmen in strukturierter Interviewführung.
- Heterogene Beobachtendengruppen: Wenn das Beobachtungs- und Entscheidungsgremium selbst divers zusammengesetzt ist, werden mehr unterschiedliche Perspektiven eingebracht und gleichzeitig das Risiko reduziert, dass bei allen Beobachtenden identische Bias zuschlagen.
- Transparenz: Die eigene Landkarte zu kennen ist Grundlage, um mögliche Bias zu erkennen und auszusprechen. Die deutliche Kommunikation möglicher Effekte bei sich selbst – oder wahrgenommen bei anderen – hilft, darüber offen zu sprechen und die Effekte zu eliminieren.
Fazit
Wahrnehmungs- und Beurteilungsverzerrungen sind ein unterschätztes Hindernis in der Personalauswahl. Vor allem, wenn sie den Beteiligten nicht klar sind, können sie zu erheblichen Benachteiligungen bis hin zu unternehmerischen Schäden führen, denn durch die individuellen Prägungen aller Beteiligter können Biases nicht komplett ausgehebelt werden. Wir bei der Cornelia Taner GmbH tragen aktiv dazu bei, gemeinsam mit unseren Kunden das Risiko für Biases bestmöglich zu reduzieren – sei es über vorbereitende Schulung der Beobachtenden über objektivierte Beobachtungs- und Bewertungsbögen bis hin zum Transparenzschaffen während der Auswahlprozesse. Damit erzeugen wir Mehrwert und unterstützen die professionelle Personalauswahl bei unseren Kunden.
Quellen:
1 Diana von Kopp (2015): Focusing, Springer
2 Bohnet, Iris, (2022): What works, Verlag C.H. Beck
3 Personalauswahl kompetent gestalten
4 Frey, Ulrich; Frey, Johannes (2011): Fallstricke. Die häufigsten Denkfehler in Alltag und Wissenschaft. Verlag C.H. Beck